Evangelisches Dekanat Odenwald

Gedenken - 80. Jahrestag des Beginns der Deportationen

Erinnern und nie vergessen

Dekanat Odenwald/Darmstadt. Ein unscharfes Foto zeigt einen Lastwagen mit einem Überseecontainer vor Fachwerkhäusern auf einer kopfsteingepflasterten Straße. Zwei Männer verladen Möbel und Alltagsgegenstände. Der Container ist fast voll. Um den Lastwagen herum hat sich eine Menschentraube gebildet. Es sieht aus, als seien auch Männer in Uniformen dabei, eine Frau mit Kittelschürze ist zu sehen, Kinder.
Das Bild könnte in vielen hessischen Dörfern aufgenommen sein. Tatsächlich hat sich die Szene Ende der 1930er/Anfang der 1940er Jahre in Schaafheim abgespielt, in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße 14. Es war das Haus von Nathan Lehmann, der den Container mit dem belud, was der Familie nach der Pogromnacht noch geblieben war. Es ist wohl die einzige dokumentierte Hausräumung in Hessen. Die Familie wollte über Holland nach Amerika, doch die Papiere wurden nicht fertig. Nur dem damals 20-jährigen Sohn Manfred gelang die Flucht. Vater, Mutter und Tochter Luise wurden 1941 nach Schlierbach zur Familie Kahn gebracht, von dort 1942 nach Darmstadt und schließlich in Auschwitz ermordet.
Vor 80 Jahren begann die Deportation von Juden sowie von Sinti und Roma aus Südhessen und Rheinland-Pfalz über den Güterbahnhof Darmstadt in die Konzentrationslager. Am 20. bzw. 24. März 1942 wurden insgesamt mehr als 1000 Juden in die Waggons gepfercht. Sie kamen aus den Dörfern und Städten auch unserer Region. Nachbarn waren sie. Und Nachbarn wurden zu Zuschauern oder Mittätern. Widerstand gab es kaum.

Zunächst wurden die Menschen nach Darmstadt gebracht und dort in der Liebig-Schule gesammelt. Beim ersten Transport verschleppten die Nationalsozialisten und ihre Helfer 1000 Menschen aus dem gesamten südhessischen Raum. Ihre Namen und Adressen sind bekannt, fein säuberlich in den Listen vermerkt. Sie lebten in Astheim, Auerbach, Beerfelden, Bingen, Birkenau, Bensheim, Crumstadt, Darmstadt, Dieburg, Elmshausen, Gernsheim, Gräfenhausen, Habitzheim, Heppenheim, Herrnsheim, Hetschbach, Höchst, Hohensülzen, Jugenheim, Lorsch, Mainz, Messel, Michelstadt, Mörfelden, Mümling-Grumbach, Münster, Neustadt, Nieder-Flörsheim, Ober-Klingen, Ober-Ramstadt, Pfungstadt, Reichelsheim, Reichenbach, Rimbach, Rüsselsheim, Schlierbach (Schaafheim), Seeheim, Sickenhofen, Viernheim, Wachenheim und Worms.

Die Initiative 'Denkzeichen Güterbahnhof', in der sich die Wissenschaftsstadt Darmstadt mit dem Landesverband der Sinti und Roma, der Jüdischen Gemeinde Darmstadt und den Bündnissen gegen Rechts in Südhessen zusammengetan haben, laden seit vielen Jahren zu einem Gedenken ein. In diesem Jahr soll vor allem dazu der Beginn der Deportationen vor 80 Jahren von Darmstadt aus in den Blick genommen werden. Dieses Gedenken wird am Sonntag, 20. März, 11 Uhr, am Güterbahnhof sein. Der Link zum Stream findet sich hier und wird auf der Seite http://denkzeichen-gueterbahnhof.de veröffentlicht.

Zu diesem zentralen Gedenken in Darmstadt haben die südhessischen evangelischen Dekanate an Orten, aus denen es Deportationen gab, Gottesdienste und Gedenkveranstaltungen initiiert.
Im Odenwaldkreis gibt es folgende Gottesdienste:
Beerfelden, 20. März, evangelische Kirche, 10 Uhr. Anschließend Gang zu den früheren Wohnhäusern der deportierten Menschen
Neustadt, 20. März, evangelische Kirche, 10 Uhr
Reichelsheim, 20. März, evangelische Kirche, 10 Uhr
Michelstadt, 23. März, evangelische Kirche, 19 Uhr. Anschließend Gang zu den früheren Wohnhäusern der deportierten Menschen

Am Donnerstag, 24. März, beginnt um 19 Uhr die Online-Veranstaltung 'Shabbat Shalom und Grüß Gott: Jüdisches Leben heute zwischen Alltag und Antisemitismus'. Zu diesem Thema sprechen die Historikerin Lilly Maier und Matthias Blöser, Projektreferent 'Demokratie stärken' bei der Landeskirche.

 


10.3.2022


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